Montag, 18. Juli 2011

Ein hoffnungsvoller Blick in die radikale Zukunft


Mitte der 1950er-Jahren brach das Primat des Bebops mit Getöse in sich zusammen. Eine Gruppe junger Wilder hob die Salven des verstorbenen Charlie Parker auf das nächste Level. An der Front standen vorerst der Bassist Charles Mingus, der Pianist Cecil Taylor und der Saxophonist (und Violinist) Ornette Coleman. Letzterer veröffentliche das Album mit dem programmatischen Titel "The Shape of Jazz to Come", das ebenso auf flammende Unterstützung wie totale Ablehnung stiess. "The Shape of Jazz to Come" erschien 1959, im selben Jahr wie "Kind of Blue", spielte sich aber am gegenüberliegenden Ende des Jazz-Kosmos ab. Den Titel gab Coleman vermutlich in Anlehnung an das fiktive Geschichtsbuch "The Shape of Things to Come" (1933) von H.G. Wells, in dem dieser die unstabile Rolle Polens als einen der Auslöser des Zweiten Weltkrieges prophezeit hatte.



Ornette Coleman wurde zu einer Vaterfigur der Punk- und Alternativeszene. Mike Watt von den Minutemen zum Beispiel outete sich als Fan. Zwei junge Bands, die die Szene aufmischten als Punk von vielen schon lange totgesagt war, lehnten sich in der Titelwahl und der Radikalität an Coleman an: Nation of Ulysses und Refused. Sie sind der lebende Beweis dafür, dass Punk auch nach der Kommerzialisierung der Bewegung in den 80er-Jahren radikal bleiben kann. Dies war ein wichtiges Signal in einer Zeit als Green Day und The Offspring (die auch ihre Berechtigung haben) weltweite Erfolge feiern konnten.





Vor kurzer Zeit hat Dope Body aus Baltimore einen Song über Grunge hochgeschaltet. Ihr ratet richtig: unter dem Namen "The Shape Of Grunge To Come". Den Download gibt es unter Altered Zones. Auf dieselbe Idee kam schon die neuseeländische Band Deja Voodoo, die ihr erstes Album (2009) so nannte.
Alle diese Bands schüren die Hoffnung, dass in Zukunft Musik ihre Funktion, bloss gefallen zu müssen, transzendieren wird. Musik soll eine relevante Kraft im Alltag bleiben und sich gegen das "Philistertum", wie Robert Schumann es nannte, zur Wehr setzen. Mit ihren jeweils sehr eigenen Ansätzen haben diese Musiker ihren Beitrag dazu geleistet.

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